Religionszugehörigkeit und Glaube sind in der heutigen Zeit ebenso Schwankungen unterworfen wie alle anderen Lebensbereiche. Das gilt insbesondere für junge Erwachsene. Im Umfeld der Kirchen und Freikirchen wird viel geforscht über Missionswissenschaften, Wege hin zum christlichen Glauben sowie “Bekehrung” und “Erweckung”. Die Tatsache jedoch, dass Menschen auch wieder ihren Glauben aufgeben oder verlieren, findet wenig Beachtung.
Vielleicht liegt das daran, dass dies nicht im Blickpunkt der Verantwortlichen liegt, vielleicht ist es auch einfach unbequem und mit dem Makel von Versagen oder Scheitern der christlichen Kirchen behaftet. Nach einigen internationalen Veröffentlichungen zu diesem Thema wird die Fragestellung mit dem vorliegenden Buch des Theologen Tobias Faix und der Soziologen Martin Hofmann und Tobias Künkler auch in Deutschland wissenschaftlich aufgearbeitet und publiziert.
Im Gegensatz zu anderen Werken soll das Buch nicht Wege erarbeiten, wie man ehemalige Christen wieder in die Kirchen zurückgewinnt. Vielmehr soll es die Beweggründe der nicht-mehr-Gläubigen aufzeigen und kategorisieren, die zu ihrem Glaubensverlust geführt haben. Dazu wurde zunächst eine Online-Umfrage durchgeführt und im Anschluss geeignete Kandidaten für ein Interview ausgewählt. Die dadurch erhobenen Daten sind Grundlage für die wissenschaftliche Studie. Die Erhebung und Auswertung der Daten und die verwendeten Methoden sind im Buch offengelegt.
Die Gemeinde-Biographien der ehemaligen Christen enthalten nur in wenigen Fällen wirklich extreme Situationen. Vielmehr sind die meisten beschriebenen Situationen für normale Gemeinde-Besucher oder -Mitarbeiter durchaus nachvollziehbar und vermutlich in vielen deutschen christlichen Gemeinden beinahe alltäglich. Es ist eben oft nicht der einmalige große Fehler von Einzelnen, sondern häufig ein Prozess aus selbstbewußter Persönlichkeitsentwicklung der jungen Erwachsenen gepaart mit mangelnder Selbstwahrnehmung christlicher Gemeinden in der Innensicht. Konkret könnte ich mir einige der beschriebenen Schicksale auch lebhaft in der Gemeinde vorstellen, zu der ich selbst gehöre.
Für das Buch ist es gut, dass es weder die Ex-Gläubigen noch die Gemeinden verurteilt, sondern zunächst sachlich die Zusammenhänge aufzeigt. Eines der häufigsten Phänomene in verschiedenen Ausprägungen ist die fehlende Übereinstimmung von Lehre und Wirklichkeit. Schon auf der Umschlagseite ist zu lesen, dass die christlichen Gemeinden Freiheit predigen, aber stattdessen durch neue Gebote die Mitglieder einengen.
Bei manchem Lebensbild habe ich mich ertappt bei dem Gedanken, dass ich das auch selbst hätte sein können. Bei anderen wiederum habe ich mich gefragt, warum der Sinneswandel der Menschen nicht von deren Umgebung in der Gemeinde wahrgenommen wurde. Als Mitarbeiter muss ich mich fragen, ob das auch unter meiner Leitung passieren kann.
Zum Ende des Buches wird es dann doch noch praktisch für die Mitarbeiter in Gemeinden, die dem beschriebenen Phänomen vorbeugen wollen: Zunächst werden die gehäuft genannten Problempunkte in den Gemeinden beschrieben. So kann ich überprüfen, ob diese Mängel auch in meiner Gemeinde auftreten. Weiter werden konkrete Fragen aufgeführt, die eine Diskussion unter den Leitern einer christlichen Gemeinde über mögliche Fehlentwicklungen oder eingeschränkte Selbstwahrnehmung in Gang bringen kann. Die Autoren verzichten bewußt auf die Bekanntgabe von “Patentrezepten” oder einfachen Lösungen.
Fazit: Eine wissenschaftliche Studie, welche die Schattenseiten der christlichen Gemeinden beleuchtet und aufklärt, warum Menschen sich vom Glauben abwenden. Keine leichte Lektüre, aber wichtig für ernsthafte Mitarbeiter in Kirchen. Für mich ein wichtiges Arbeitsbuch, das mir hilft, meinen eigenen Glauben zu reflektieren und meinen Umgang mit Mitchristen an mancher Stelle neu auszurichten.
Titel | Warum ich nicht mehr glaube Wenn junge Erwachsene den Glauben verlieren |
Autoren | Faix, Tobias Hofmann, Martin Künkler, Tobias |
Erschienen | 2014 bei SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten |
Auflage | 2. Auflage 2014 |
Format | gebunden, 248 Seiten |
ISBN | 978-3-417-26583-5 |