Titelseite: Wolfgang Putschky - Seine Gnade reicht aus

Jakob Vetter, Gründer der deutschen Zeltmission, lebte in der Zeit um die Jahrhundertwende des vergangenen Jahrhunders bis zum Ersten Weltkrieg. Die Auswirkungen seiner Arbeit haben auch meinen Lebensweg mehr als einmal gekreuzt und so war es Zeit, mich mit seiner Biographie auseinanderzusetzen.

Vetter wächst in einer schwierigen Familie auf, erlebt Armut, Krankheit und Tod. Sein Vater bekehrt sich zum christlichen Glauben, den Jakob Vetter aber zunächst ablehnt. Lieber ist er der Wortführer unter den jugendlichen, wenn diese Streiche spielen und Feste feiern. Jahre später nimmt auch er diesen Glauben an und wird daraufhin zum eifrigen Kämpfer für diese Religion. Es ist ihm ein Herzensanliegen, anderen Menschen von der Freude und Befreiung zu erzählen, die er selbst dadurch erfahren hat. Er beginnt eine theologische Ausbildung in der Schweiz.

Obwohl er an einer schweren Lungenkrankheit leidet, tritt er seinen Dienst als Verkündiger in der hessischen Stadt Lich an. Von dort betreut er 16 kleinere Ortschaften im Umkreis mit, darunter auch Watzenborn-Steinberg. Wegen seiner Erkrankung muss er beinahe seinen Dienst aufgeben, als es ihm besser geht, werden seine Aufgaben umgestellt, so dass er nun nicht mehr von Predigt zu Predigt hastet, sondern jeweils 1-2 Wochen an einem Ort verweilt und dort den Menschen predigt und für die Seelsorge bereitsteht. Vetter muss trotz seiner Krankheit eine unglaubliche Ausstrahlung gehabt haben, sein Temperament wird als “feurig” beschrieben. Unzählige Menschen schließen sich auf seine Predigt hin dem christlichen Glauben an.

Bei einem Besuch in seiner Ausbildungsstätte in der Schweiz erhält er eine göttliche Vision von einem großen Zirkuszelt, in dem die Menschen aber nicht unterhalten werden, sondern im christlichen Glauben unterrichtet werden. Bereits zwei Jahre später wird daraus Realität, Jakob Vetter gründet mit nicht einmal 30 Jahren die deutsche Zeltmission. Von da an zieht er mit dem großen Zelt durchs Land, hält sogenannte Evangelisationswochen und predigt den Menschen. Er ist überzeugt davon, dass die Menschen in der Sünde gefangen sind und nur durch Jesus Christus daraus befreit werden können. Er ist so sehr überzeugt, dass er sich nicht dem Zeitgeist anschließt, die Sünde kleinzureden oder die Erlösung durch jeden selbst zu propagieren. Er nennt Gott und den Teufel beim Namen, er lehrt vom Himmel und von der Hölle, er verschweigt nicht das Böse, aber umso mehr predigt er voller Überzeugung die Erlösung vom Bösen. Dadurch kommen Tausende von Menschen zum Glauben an Jesus Christus, gleichzeitig steigt die Zahl seiner Kritiker und Gegner. Auch aus den Reihen der Kirchen und Gemeinden erfährt er Protest, denn er achtet nicht darauf, ob die Veranstaltung von der Kirche oder von Freikirchen geplant werden, ob Methodisten, Baptisten oder Pfingstler ihn und sein Team einladen. Sein Credo ist, er arbeitet für Gott und nicht für eine Denomination.

Die Arbeit wächst so rasant, dass er in Siegen ein Hauptquartier baut, wo er über Winter Wohnung findet, dass er weitere Zelte erwerben kann und dass er die Arbeit nach Holland und in die Schweiz ausweitet. Bei alledem wird er immer wieder von seiner chronischen Krankheit ausgebremst. Er heiratet und bekommt eine Tochter. Kurz vor dem ersten Weltkrieg zieht er in die Stadt Riehen in der Schweiz um. Dort macht er aus dem Haus seiner Schwiegereltern einen Ort voller Gastfreundschaft und Erholung auch für Mitarbeiter in christlichen Werken, die an Überforderung leiden.

Auf mehreren Auslandsreisen durch Wales, Russland, Holland und zwei Reisen in den Orient holt er sich immer neue Ideen, entwickelt weitere Pläne, gründet die Karmel-Mission, vor allem aber predigt er immer wieder die gleiche Botschaft, die sein Herz bewegt.

1918 stirbt er im Kreis seiner Freunde und der Familie im Alter von 46 Jahren an seiner Lungenerkrankung. Die von ihm gegründeten Organisationen bestehen bis heute weiter.

Auswirkung: Zunächst einmal erscheinen die Erzählungen für mich wie ein Märchen aus einer anderen Zeit. Trotzdem berühren sie mich in mehrfacher Hinsicht. In der evangelischen Gemeinschaft in Watzenborn-Steinberg, die er vermutlich mit gegründet und aufgebaut hat, bin auch ich aufgewachsen. Dort wurde auch mein christlicher Glaube geweckt und geprägt. In dieser Gemeinde habe ich viele positive Impulse für mein Leben erhalten, aber auch viele Aussagen gehört, die so gar nicht zu einer “frohen Botschaft” passen, von der Jakob Vetter so begeistert war. In den christlichen Kreisen gab es viele Regeln und Verbote, die für mich nicht immer nachvollziehbar waren. Erst durch die Beschäftigung mit der Gründerzeit dieser Gemeinde konnte ich mir erklären, dass die Gründerväter nach ihrer Abkehr vom Alkoholismus auch alles verboten haben, was sie damit in Verbindung gebracht haben. Voller Freude und freiwillig haben sie ihrem alten Leben abgesagt und wollten auch ihre Kinder vor diesem Unheil schützen, daher verboten sie ihnen nicht nur den Alkohol, sondern auch das Kartenspiel, den Tanz, den Besuch der Kirmes und Anderes was sie wieder in Versuchung zum Rückfall geführt hätte. Was blieb, waren die Verbote, jedoch ging die Freude über die Befreiung verloren.

Heute möchte ich mich damit auseinandersetzen, was das Leben als Christ für mich bedeutet. Heute möchte ich niemanden mit Regeln belasten, die nicht verständlich sind und die auch nicht der Lehre der Bibel entsprechen. Vor allem aber möchte ich selbst das Gefühl der Freiheit erleben, das in der Biographie von Jakob Vetter beschrieben und in den Erzählungen meiner Vorfahren berichtet wird. Und damit beeinflusst das Lebensbild dieses Mannes – 100 Jahre nach seinem Tod – mein Leben und meine Einstellung zu Kirche und Religion. Die Christen der heutigen Zeit müssen wieder neu lernen, dass niemand gerecht wird, indem er Regeln hält und fromme Rituale ausführt. Die Botschaft der Bibel lehrt seit 2.000 Jahren, dass allein der Tod und die Auferstehung von Jesus Christus einen Menschen gerecht macht. Und so wünsche ich mir, dass ich diese Freiheit neu entdecke und auch denen zugestehe, deren Lebensentwürfe anders aussehen als meine eigenen. Wer wie Vetter begreift: “Seine Gnade reicht aus”, kann einem anderen Menschen nicht wieder unsinnige Lasten auflegen, die niemand begreift.

Fazit: Sprachlich wohl ausformuliert, enthält diese Biographie eine Botschaft, die Sprengkraft besitzt. Das galt für die Lebenszeit von Jakob Vetter und das gilt für Christen heute, die sich mit dem Erbe befassen. Das Buch sei jedem empfohlen, der die ursprüngliche Freude eines Lebens als Christ wieder entdecken will.

 

Autor Putschky, Wolfgang
Erschienen 2002 beim Verlag der St. Johannis Druckerei, Lahr/Schwarzwald
Auflage 1. Auflage 2002
Format Taschenbuch, 184 Seiten
ISBN 987-3-501-01429-5

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