Wäre das nicht großartig, wenn es ein Medikament gäbe, was man nur nehmen muss, um grenzenlos intelligent und motiviert zu sein? Wäre ich nicht selbst in Versuchung, so etwas zu nehmen? Was würde ich alles mit meiner neu gewonnenen Lebensfreude anpacken, was würde ich lernen und wie würde ich mich verändern?
Inhalt
Im Roman „Stoff“ geht es genau um solch eine Substanz. Der Protagonist trifft zufällig seinen Ex-Schwager wieder, der ihm eine dieser Pillen gibt – nicht ohne Hintergedanken, denn er dealt mit diesem Stoff. Doch der Schwager wird ermordet und Eddie findet dessen Vorrat an diesen Pillen und nimmt sie an sich. So außergewöhnlich beginnt die Geschichte und ebenso geht sie weiter.
Eddie nimmt die Droge und stellt zuerst alle positiven Wirkungen fest. Er ist motiviert, räumt seine Wohnung auf, ordnet sein Leben und stellt die seit langem begonnene Arbeit an seinem Buch fertig. So weit, so gut. Er braucht nur noch wenig Schlaf und bemerkt erst langsam, wie dieses Mittel ihn zu einem Raubbau an seinem Körper und seiner Gesundheit verleitet.
Doch dann hat er mehrere Blackouts, einer dauert mehrere Stunden an. Er kann sich an nichts erinnern. Später wird er mit einem tödlichen Zwischenfall in Verbindung gebracht. Die Droge hat wie alle anderen bewusstseinserweiternden Substanzen krasse Nebenwirkungen.
Im Lauf der Geschichte entdeckt Eddie, dass es eine ganze Historie zu diesem Medikament gibt und dass die Verbreitung deutlich größer war, als er sich das je vorstellen konnte.
Bewertung
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – diese alte Weisheit aus der Medizin trifft auf die erdachte Droge MDT genauso zu. Doch das ist nur die oberflächliche Betrachtung.
Der Roman stellt auch an mich einige bohrende Fragen: Was kann ich tun, wenn ich mit meinem momentanen Leben nicht zufrieden bin? Gibt es wirklich eine Abkürzung, einen Weg ohne Mühe und Hindernisse, um mich zu verändern? Und wenn ja, wäre ich bereit, die negativen Begleiterscheinungen zu tolerieren?
Schnell komme ich in ein Gedankenspiel, wo ich selbst nicht mehr weit von einem möglichen Drogenkonsum entfernt bin. Klar bin ich sehr behütet aufgewachsen und kann mir nicht vorstellen, dass ich in der Gefahr stehe, harte Drogen zu nehmen. Zu deutlich wurden mir schon als Jugendlicher die negativen Konsequenzen vor Augen geführt und der Zusammenhang war klar: Der positive Effekt ist von kurzer Dauer, die Auswirkungen sind lange anhaltend, mitunter lebenslang.
Doch bin ich wirklich gefeit vor der Versuchung? Was ist, wenn diese nicht aus der Schmuddelecke kommt, sondern in Verbindung zu Menschen steht, die ich achte oder verehre? Was ist, wenn es einen ganz anderen, schleichenden Weg gibt, über den ich unmerklich in etwas hinein rutsche, was ich gar nicht wollte? So sicher bin ich mir plötzlich gar nicht mehr, dass ich da unantastbar wäre.
Und dann bin ich schon wieder bei der Umkehrung der Frage: Wer sagt mir eigentlich, dass mein jetziges Leben nicht ausreicht? Wer verlangt von mir eine Steigerung meiner Leistung, meiner Disziplin oder meines Arbeitsergebnisses? Ist es nicht viel hilfreicher, wenn ich mehr Zufriedenheit lerne? Wenn ich genügsam bin, auf unnötigen Überfluss verzichte, jeden einzelnen Tag genieße und mir einfach so (ganz ohne Drogen) keine Sorgen mehr mache, dann ist das dem wahren Leben viel näher als die unbegrenzte Perfektion.
Spätestens hier wird klar: Dieser Thriller ist deutlich mehr als eine einfache Drogengeschichte. Wenn ich mich darauf einlasse, hinterfragt der Autor auch mich und meine Motive im Leben – und ich habe die Chance, meine Ziele neu festzulegen.
Fazit
Der Roman „Stoff“ von Alan Glynn ist eine Geschichte einer Droge, die zuerst utopisch anmutet, sich aber schnell zu einer Dystopie verkehrt. Der Autor versteht es, die Entwicklung in der Gesellschaft zu kritisieren, ohne dies offen auszusprechen. Er hält mir selbst den Spiegel vor. Das Buch ist absolut lesenswert und erhält von mir die volle Punktzahl. Zu diesem Buch ist auch der Kinofilm „Ohne Limit“ und später die TV-Serie „Limitless“ erschienen. Ich empfehle jedoch das Buch!