Täglich begegnen mir komplizierte Ausdrücke, um die Gleichheit der Geschlechter auszudrücken. Politisch korrekte Sprechweise lässt Politiker und Nachrichtensprecher stottern. Vereinheitlichung aller Meinungen und Lebensumstände ist das oberste Ziel, doch wer hat dieses Ziel eigentlich festgelegt?
Inhalt
In seinem Büchlein „Das therapeutische Kalifat“ beschreibt der Schweizer Autor Giuseppe Gracia die allgegenwärtige Intoleranz der Toleranten. Jede außergewöhnliche Einstellung zu Politik, Familie oder Religion ist zulässig und wird geradezu gefördert. Wer dagegen an „alten“ Werten festhält, wird verachtet oder bekämpft. Dazu haben die Meinungsmacher sogar neue Worte erfunden.
Der Autor vertritt die These, dass die Vertreter konservativer Meinungen wie psychisch Kranke behandelt werden und dass man sie therapieren möchte. Dafür benennt er einige Beispiele.
Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut für alle Menschen, auch für diejenigen, die an scheinbar überholten Ansichten festhalten. Tatsächlich geht es um Menschenrechte, um Macht und Moral. Dahinter steht aber immer eine Ideologie.
Im Anhang gibt Gracia Anregungen, wie Betroffene mit dieser Situation umgehen können. Weiter findet sich ein Glossar häufig verwendeter Begriffe der Kritiker und eine Darstellung einiger der beschriebenen „Narrative“. Das sind Interpretationen in Erzählform, welche die Stelle von Fakten einnehmen.
Bewertung
Während ich dem Autor von der Sache her in vielen Punkten zustimme, gefällt mir nicht die Art, wie er seine Argumente vorbringt. Vielmehr sehe ich, dass er dieselben Werkzeuge einsetzt, die er bei Medien und Politikern kritisiert.
Schon der Titel „das therapeutische Kalifat“ ist ein Narrativ. Er verwendet die Form, die er anderen ankreidet, weil sie den Leser manipuliert. Ohne Begründung und ohne Bezug zur Realität vergleicht er die Meinungsmacher mit einem Kalifen, also einem islamischen Herrscher, der gleichzeitig politische und religiöse Macht ausübt. Das mag aus Marketing-Aspekten legitim sein, eine sachliche Argumentation wird dadurch jedoch erschwert.
Wie Gracia sehe auch ich die Gefahr, dass bei aller Gleichmacherei die eigene Identität verloren geht. Diesen Inhalt kann man aber durchaus sachlich darstellen. Beispiele bringt er aus der Gender-Politik, der Flüchtlingsfrage und aus der Wissenschaft. Die Mehrheit der Meinungsmacher vertritt eine einheitliche moralische Linie. Der Autor scheint einen Großteil der Thesen nicht zu teilen, stellt sich zumindest auf die Seite der Kritiker. Damit verteidigt er nicht nur überzeugte Christen, sondern auch politische Kräfte in der rechten Hälfte des Parteienspektrums.
Ich freue mich, dass diese wichtigen Themen auch aus deren Sicht vorgebracht werden. Das sollte aber mit Liebe geschehen und nicht mit Satire oder mit den Waffen der Gegner. Die Art der Argumentation in diesem Buch baut neue Mauern auf, statt liebevoll auf die Andersdenkenden zuzugehen. Schade eigentlich.
Fazit
Giuseppe Gracia deckt in seinem Taschenbuch „Das therapeutische Kalifat“ die gängige Art der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung auf. Er benennt die Probleme und zeigt auf, welche Positionen stillschweigend vorausgesetzt werden. Leider bedient er sich dabei Ausdrücken, die den Leser manipulieren. Damit hat er sich selbst disqualifiziert. Es ist gut, dass das Thema öffentlich angesprochen wird, die Umsetzung ist meiner Meinung nach ungeeignet, insgesamt setzt das Buch sein Anliegen gerade noch ausreichend um.